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Als der Rhein zufror - Der Extremwinter 1962/63

23:00
30. November 1963

Als der Rhein zufror
Der Extremwinter 1962/63

Zugefrorener RheinNach der Schifffahrtssperre friert der Rhein komplett zu. Der Strom erstarrt zu einer bizarren Eiswüste. - © dpa

Auch wenn der letzte kalte Winter gefühlt eine Ewigkeit her ist, sollte man "Väterchen Frost" auch in Zeiten der globalen Erwärmung niemals abschreiben. Wie eisig Winterwetter auch hierzulande werden kann, zeigt der Extremwinter 1962/63.

Dass der Winter 1962/63 streng werden könnte, hatte sich schon früh angekündigt. Schon im November gibt es erste Schneefälle bis ins Flachland und einige Tage Dauerfrost. Anfang Dezember macht sich dann ein Hoch über Mitteleuropa breit, am Boden sickert sehr kalte Frostluft aus Osteuropa ein.

Zwar bringt ein Sturmtief Mitte Dezember noch einmal ein paar Tage Tauwetter, doch der Schein trügt: In Nordosteuropa sammelt sich unter einem neuen, mächtigen Hochdruckgebiet immer mehr extrem kalte Luft an. Diese sibirische Frostluft bekommt nach Abzug des Sturmtiefs freie Bahn.

Schneemassen blockieren eine DampflokMeterhohe Schneeverwehungen legen nicht nur Straßen, sondern auch einige Bahnstrecken lahm. Hier blockieren Schneemassen eine Dampflok in der Oberpfalz. - © dpa

Am 19. Dezember bringt ein stürmischer und bitterkalter Ostwind Schnee und einen Temperatursturz auf unter minus 15 Grad.

Es folgt ein winterliches Weihnachten wie aus dem Bilderbuch mit teils strengem Dauerfrost und einer Schneedecke im ganzen Land. Auch der Jahreswechsel verläuft überall frostig und weiß, im Norden sorgt stürmischer Nordostwind zusätzlich für meterhohe Schneeverwehungen. Viele Straßen sind dort unpassierbar.

Kinder fahren Schlitten in der StadtKinder mit Schlitten gehören im Winter 1962/63 auch in den Städten, wie hier in Frankfurt am Main, zum Straßenbild. - © dpa

In den ersten Januartagen versuchen atlantische Tiefs mit milder Luft den Frost zu vertreiben. Sie bringen Schnee, gefrierenden Regen und kurzzeitig leichtes Tauwetter. Doch schon am 7. Januar dreht der Wind wieder auf Nordost und bringt eine neue Portion eisige Kälte mit.

Es ist der Beginn einer extremen Kältewelle, die mit nur kurzen Unterbrechungen bis Anfang März anhält. Erst dann können die kräftiger werdende Sonne und milde Atlantikluft die Macht des Winters nach und nach brechen.

Kohle- und Heizölknappheit

Mann füllt Heizöl in Kanister Heizölrationierung in Frankfurt am Main. Aufgrund der extremen Knappheit werden Heizöl und Kohle streng rationiert. - © dpa

Die Folgen des harten Winters auf die deutsche Nachkriegsgesellschaft sind enorm. Die wiederaufgebauten Häuser in den Städten sind zumeist schlecht isoliert, die Fenster einfach verglast und voller Eisblumen.

Geheizt wird meist noch mit Kohleöfen oder Heizöl, Zentralheizungen sind Luxus. In den Wohnungen ärmerer Viertel wird oft nur ein Zimmer beheizt. Der hohe Kohleverbrauch führt zu teils extremem Smog in den Städten. Außerdem gibt es schon Ende Dezember erste Versorgungsengpässe durch Schnee und Eis.

Sogar der Rhein friert zu

Kohleschiffer stecken festIm Januar verschärft sich die Kohle- und Heizölknappheit. Treibeis behindert die Kohleschiffe auf den Flüssen und Kanälen. Aber auch an den Küsten von Nord- und Ostsee ist kaum noch ein Durchkommen. - © dpa

Am 16. Januar kapitulieren die Behörden vor den Eismassen auf dem Rhein und erlassen ein generelles Schifffahrtsverbot. Wenige Tage später ist der gewaltige Fluss komplett zugefroren. Die sonst träge dahinfließenden Wassermassen sind zu meterhohen Trümmerfeldern aus Eisschollen erstarrt, die sich durch die Strömung zu bizarren Formen ineinander verkeilt haben.

Für viele Städte am Rhein ist der zugefrorene Strom eine Katastrophe, denn sie sind weitgehend auf die regelmäßigen Kohlelieferungen der Lastkähne angewiesen. Überall im Land werden Kohle und Heizöl ein rares und teures Gut.

Auf dem Land ist die Situation auch nicht viel besser: Viele Dörfer sind aufgrund meterhoher Schneeverwehungen von der Außenwelt abgeschnitten und auf sich allein gestellt. Immerhin gibt es dort meist genug Holz zum Heizen, außerdem halten die Menschen zusammen und helfen einander, wo es nur geht.

Europa erstarrt in eisiger Kälte

Zugefrorene Themse in LondonZugefrorene Themse in London: England erlebt den kältesten Januar seit über 150 Jahren. - © dpa

In ganz Europa sind die Folgen des extremen Winterwetters verheerend. In Skandinavien machen Eismassen die Schifffahrt auf der Ostsee praktisch unmöglich. Viele Nordseeinseln können nur noch aus der Luft versorgt werden.

Großbritannien erlebt den kältesten Januar seit 1795, sogar die Themse friert zu. In den Niederlanden werden Dutzende Eisfeste organisiert, das IJsselmeer wird sogar mit Autos und Lastwagen befahren. In Spanien, Italien und Griechenland erleiden die Obstbauern massive Frostschäden, vor allem Apfelsinen sind betroffen.

Andauernde Kälte fordert Opfer

Mit dem Presslufthammer auf dem GottesackerMit dem Presslufthammer auf dem Gottesacker: Der teilweise bis zu 2 Meter tief gefrorene Boden macht Beerdigungen fast unmöglich. - © dpa

Die andauernde Kälte fordert europaweit Tausende von Opfern. Vor allem arme Menschen, die kein Geld zum Heizen haben, erfrieren nachts in ihren eiskalten Wohnungen. Viele sterben an Infektionskrankheiten.

Oft ist der Boden so hart und tiefgefroren, dass Beerdigungen - wenn überhaupt - nur noch mit einem Presslufthammer möglich sind. In einigen Dörfern lagert man Särge sogar wochenlang neben der Kirche unter freiem Himmel und wartet, bis endlich Tauwetter einsetzt.

Die Natur leidet unter dem Jahrhundertwinter

Auch die Natur leidet massiv unter dem kältesten Winter des 20. Jahrhunderts. Rehe, Wildschweine und Gämsen werden zahm und dringen auf der verzweifelten Suche nach Futter in die Siedlungen ein. Zehntausende Wasservögel verhungern, weil sie das Eis in den Flüssen und Seen an der Futtersuche hindert.

Unzählige Obstbäume und Rebstöcke erfrieren, vereinzelt explodieren Bäume sogar mit einem lauten Knall, weil das gespeicherte Wasser in den Stämmen gefriert und sich dabei ausdehnt.

Eisprozession und Flugzeuge auf dem Bodensee

Ein Sportflugzeug startet vom Titisee im SchwarzwaldEin Sportflugzeug startet im Februar 1963 vom Titisee im Schwarzwald. Im Februar ist die Eisdecke auf den meisten Gewässern so dick, dass sie mühelos schwere Lasten tragen kann. - © dpa

Auch im Februar sind alle Flüsse und Kanäle mit festem Eis bedeckt und unpassierbar. Sogar auf der Nordsee werden große Treibeisfelder gesichtet, die Seewassertemperatur ist auf minus 1 Grad gesunken. Die Ostsee ist komplett mit Eis bedeckt.

Im Alpenraum frieren alle großen Seen zu, auf dem Bodensee kann man am 12. Februar erstmals seit 1830 wieder die sogenannte Eisprozession halten. Hierbei wird eine Büste des heiligen Johannes vom Hagnau auf der deutschen Seite quer über den komplett zugefrorenen See nach Münsterlingen in der Schweiz gebracht.

Besonderheiten des Winters 1962/63

Menschen auf zugefrorenem FlussDer Winter 1962/63 ist der kälteste des 20. Jahrhunderts gewesen. Von Dezember bis in den März hinein herrscht nahezu durchgehend Dauerfrost mit teils extremen Minusgraden. Nach und nach frieren alle Flüsse, Kanäle und Seen zu, auch die Küsten von Nord- und Ostsee sind vereist. - © dpa

Das Besondere am Winter 1962/63 war die extreme Länge seiner Kälte- und das fast völlige Fehlen von Tauwetterperioden. Dadurch kühlten sich die Wasserflächen der großen Seen und Flüsse sowie die Küstengewässer so weit ab, dass sich überall dickes Eis bilden konnte.

In den meisten Regionen im Flachland lag von Mitte Dezember bis in den März hinein durchgehend Schnee, in den Mittelgebirgen wurde es sogar schon im November weiß. Vielerorts türmten sich die Schneemassen zu meterhohen Verwehungen auf, die oft wochenlang Straßen und Schienen blockierten.

Erst Anfang März schwächt sich die strenge Kälte endlich ab. Die zunehmende Kraft der Sonne lässt die Temperaturen tagsüber wieder über den Gefrierpunkt steigen. Schließlich dreht der Wind auf Südwest und deutlich mildere Luft bringt Regen und das lang ersehnte, durchgreifende Tauwetter. Dies führt allerdings zu Überschwemmungen, da der noch hart gefrorene Boden kein Wasser aufnehmen kann.

Ist ein solcher Extremwinter heute noch möglich?

Frau in SchneesturmArktische Kälte und die schwersten Schneestürme seit Jahrzehnten würgten den Frühling ab und machten den März 2013 in weiten Teilen Europas zu einem echten Wintermonat. - © AFP

Aus heutiger Sicht wirken Berichte über den Rekordwinter 1962/63 unglaublich und wie aus einer anderen Zeit. Selbst die massiven Schneestürme des Winters 1978/79 waren durch eine längere Tauwetterperiode voneinander getrennt. Und auch die Eiswinter Mitte der 1980er Jahre waren gegen den Jahrhundertwinter 1962/63 vergleichsweise harmlos. Heute kann man sich schlichtweg nicht mehr vorstellen, dass so etwas noch möglich ist. Dennoch hat Väterchen Frost trotz der globalen Erwärmung weiterhin die Kraft, auch bei uns hart zuzuschlagen. In den letzten Jahren waren die Winter in Europa zwar ausgesprochen mild, dennoch gab es wiederholt Episoden, die zeigen, dass extreme Kältewellen immer noch möglich sind.

Zugefrorene Hamburger BinnenalsterAlster-Eisvergnügen auf der zugefrorenen Hamburger Binnenalster im klirrend kalten Februar 2012. Der letzte in Teilen kalte Winter liegt erst wenige Jahre zurück. - © dpa

In den USA waren die Winter 2013/14 und 2014/15 extrem kalt, die Großen Seen und sogar ein Großteil der Niagarafälle froren zu. Im ganzen Land wurden reihenweise Kälterekorde geknackt. Auch bei uns liegt der letzte landesweit kalte Winter (2010) gar nicht so lange zurück.

Sogar Kälterekorde sind heutzutage noch möglich, wie der Schnee-Dezember 2010, der sibirisch kalte Februar 2012 oder der Schneesturm-März 2013 eindrucksvoll belegen. Von den letzten sehr milden Wintern sollte man sich daher nicht täuschen lassen.

Fazit

Es ist also "trotz" der globalen Erwärmung nur eine Frage der Zeit, bis Europa mal wieder einen richtig strengen Winter erleben wird. Wann das geschieht, ist jedoch nicht vorhersehbar. Zwar wird dieser wahrscheinlich nicht ganz so kalt wie der Winter 1962/63. Wochenlanger Dauerfrost und Schneestürme wird es aber immer wieder mal geben.
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